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MUSIK
MC 5

Bestialischer Aufschrei

Alle Städte werden brennen, ihr baut sie wieder auf.
Songtext ("Motor City is burning")

Die Gitarren rattern wie Maschinengewehre, Trommeln und Becken des Schlagzeugs krachen wie Molotow-Cocktails, und aus den Lautsprechern heulen — jenseits der Schmerzgrenze — Jet-Jäger bei einem Luftangriff.

Denn in ihren Konzerten wollen die Musiker der „Motor City Five" aus Detroit „das Erlebnis totaler Zerstörung" vermitteln und „Amerikas weiße Jugendliche radikalisieren". Sie führen einen „Guerillakrieg gegen die amerikanische Gesellschaft", und mit jedem Songtext propagieren sie die Revolution.


Der brutale, gewalttätige Rock'n' Roll, so erläutert der „MC 5"-Manager John Sinclair, 27, „peitscht die Zuhörer auf die Straßen, bis sie schreien, kreischen und alles niederreißen, was die Menschen zu Sklaven macht".

Unü tatsächlich, wo immer die Rock-Guerillas ihren terroristischen Beat aufführen, steigert sich die Erregung des Publikums bis zu einem „bestialischen, nihilistischen Aufschrei" (Norman Mailer): Junge Mädchen rei-3en sich die Büstenhalter vom Leib, Paare wälzen sich in Trance auf dem Boden, Fans stürmen die Bühne, und eine Mikrophonstimme brüllt: „Werft die Hemmungen ab, raucht Marihuana, bumst auf den Straßen."

In der radikalen Hippie-Kommune „Trans-Love Energies", die der ehemalige College-Student, Jazzkritiker und Haschischhändler Sinclair für die „MC 5" und ihre Anhänger in der Universitätsstadt Ann Arbor bei Detroit eingerichtet hat, wird diese „Botschaft der totalen Befreiung" auch praktiziert. Für 2200 Mark Monatsmiete lebt die Rock-Combo zusammen mit etwa 50 Jugendlichen, die sich „Weiße Panther" nennen, in zwei 18-Zimmer-Häusern in der „Straße der Brüderlichkeit". Sie benebeln sich mit Rauschgift, zeichnen Plakate für linke Beatgruppen, publizieren die Underground-Zeitschriften „Sun" und „Fifth Estate" und drucken obszöne Flugblätter, die mittlerweile zu Tausenden in den Schulen des US-Bundesstaates Michigan kursieren.

Innerhalb von vier Monaten wurden Sinclair und Mitglieder seiner „White Panther Party" insgesamt 14mal wegen unsittlicher Entblößung, Verführung Minderjähriger, Verbreitung obszöner Schriften, Rauschgiftbesitz oder auch, weil sie Polizisten verprügelt hatten, in Haft genommen. Doch vor Gericht kamen die „Weißen Panther" bis vor wenigen Wochen stets glimpflich davon. Denn „wenn Sinclair eingesperrt wird", so drohten die Guerillas, „wird Detroit wieder brennen".

Schon im Frühjahr 1968 hatte die weiße Gang mit den militanten Neger-Organisationen im Getto von Detroit gegenseitige Unterstützung für den Fall drastischer Polizei-Zugriffe vereinbart. Und in Detroit und Umgebung, so ermittelte das US-Popmusik-Blatt „Rolling Stone", „gibt es mehr mit Helmen, Gasmasken, Tränengas und Waffen ausgerüstete Polit-Rocker als in jeder anderen vom Aufruhr befallenen Stadt der USA".

Die Bürger von Ann Arbor wollen sich freilich den Terror der „MC 5"-Rebellen nicht länger gefallen lassen. Sie fordern Polizeiaktionen und hatten auch schon einigen Erfolg: Rauschgiftagenten machten Razzia in der Michigan State University, in den Schulen wurden Sinclair-Flugblätter beschlagnahmt, und ein Bürger-Komitee forderte von Schallplattenhändlern, die „MC 5"-Platte „Kick Out the Jams" nicht mehr zu verkaufen.

Darauf antworteten die Musiker mit Anzeigen in der Underground-Presse: „Wenn sie euch die Platten nicht verkaufen, tretet ihnen die Türen ein." Sie unterzeichneten die Inserate mit dem Namen ihrer Plattenfirma „Elektra" und schickten die Rechnungen an den Produzenten.

Die Firma, die von der inkriminierten Platte schon mehr als 150 000 Exemplare verkauft hat, feuerte die Combo „wegen unprofessionellen Verhaltens". Ein anderer Schlag traf die „MC 5" noch härter: Im letzten Monat wurde der Ober-Panther John Sinclair wegen Rauschgiftdelikten zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

  • Der Spiegel, Nr. 39/1969, S. 212

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