Unü tatsächlich, wo immer die Rock-Guerillas ihren terroristischen Beat
aufführen, steigert sich die Erregung des Publikums bis zu einem
„bestialischen, nihilistischen Aufschrei" (Norman Mailer): Junge Mädchen
rei-3en sich die Büstenhalter vom Leib, Paare wälzen sich in Trance auf dem
Boden, Fans stürmen die Bühne, und eine Mikrophonstimme brüllt: „Werft die
Hemmungen ab, raucht Marihuana, bumst auf den Straßen."
In der radikalen Hippie-Kommune „Trans-Love Energies", die der ehemalige
College-Student, Jazzkritiker und Haschischhändler Sinclair für die „MC 5"
und ihre Anhänger in der Universitätsstadt Ann Arbor bei Detroit
eingerichtet hat, wird diese „Botschaft der totalen Befreiung" auch
praktiziert. Für 2200 Mark Monatsmiete lebt die Rock-Combo zusammen mit etwa
50 Jugendlichen, die sich „Weiße Panther" nennen, in zwei 18-Zimmer-Häusern
in der „Straße der Brüderlichkeit". Sie benebeln sich mit Rauschgift,
zeichnen Plakate für linke Beatgruppen, publizieren die
Underground-Zeitschriften „Sun" und „Fifth Estate" und drucken obszöne
Flugblätter, die mittlerweile zu Tausenden in den Schulen des
US-Bundesstaates Michigan kursieren.
Innerhalb von vier Monaten wurden Sinclair und Mitglieder seiner „White
Panther Party" insgesamt 14mal wegen unsittlicher Entblößung, Verführung
Minderjähriger, Verbreitung obszöner Schriften, Rauschgiftbesitz oder auch,
weil sie Polizisten verprügelt hatten, in Haft genommen. Doch vor Gericht
kamen die „Weißen Panther" bis vor wenigen Wochen stets glimpflich davon.
Denn „wenn Sinclair eingesperrt wird", so drohten die Guerillas, „wird
Detroit wieder brennen".
Schon im Frühjahr 1968 hatte die weiße Gang mit den militanten
Neger-Organisationen im Getto von Detroit gegenseitige Unterstützung für den
Fall drastischer Polizei-Zugriffe vereinbart. Und in Detroit und Umgebung,
so ermittelte das US-Popmusik-Blatt „Rolling Stone", „gibt es mehr mit
Helmen, Gasmasken, Tränengas und Waffen ausgerüstete Polit-Rocker als in
jeder anderen vom Aufruhr befallenen Stadt der USA".
Die Bürger von Ann Arbor wollen sich freilich den Terror der „MC
5"-Rebellen nicht länger gefallen lassen. Sie fordern Polizeiaktionen und
hatten auch schon einigen Erfolg: Rauschgiftagenten machten Razzia in der
Michigan State University, in den Schulen wurden Sinclair-Flugblätter
beschlagnahmt, und ein Bürger-Komitee forderte von Schallplattenhändlern,
die „MC 5"-Platte „Kick Out the Jams" nicht mehr zu verkaufen.
Darauf antworteten die Musiker mit Anzeigen in der Underground-Presse:
„Wenn sie euch die Platten nicht verkaufen, tretet ihnen die Türen ein." Sie
unterzeichneten die Inserate mit dem Namen ihrer Plattenfirma „Elektra" und
schickten die Rechnungen an den Produzenten.
Die Firma, die von der inkriminierten Platte schon mehr als 150 000
Exemplare verkauft hat, feuerte die Combo „wegen unprofessionellen
Verhaltens". Ein anderer Schlag traf die „MC 5" noch härter: Im letzten
Monat wurde der Ober-Panther John Sinclair wegen Rauschgiftdelikten zu
neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.