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Die Konzeption war richtig
Zweiter Bericht über den ersten DAG-Jugendclub „Anode"
 

von Ulrich Steinke

Vor 5 Jahren erschien im „blickpunkt-Tip" ein Artikel über die Eröffnung des DAG-Jugendklubs „Anode" im 5. Stock des Hauses Friedrichstr. 210. Viel Geld — 30000 DM — und viele gute Wünsche machten den Start leicht. Es sollte nämlich ein politisch-literarischer Klub werden. Alle Beteiligten waren fasziniert von der Vorstellung, daß hier junge Leute im offenen Gespräch mit Politikern diskutieren, daß Schriftsteller ihre neuen Produkte einem kritischen, jungen Publikum vorstellen würden, daß man einfach reinschauen könnte und immer etwas los wäre. Inzwischen haben wir festgestellt, daß der Weg zu den Politikern ein „langer Marsch durch die Institutionen" ist, der nicht in Jugendklubs beginnt und auch nicht dort endet. Gewiß waren Literaten und Künstler im Klub und fanden ein diskutierfreudiges Publikum. Ein kontinuierliches politisch-literarisches Klubleben entstand jedoch nicht.

Wenn nach fünf Jahren trotzdem eine positive Bilanz gezogen werden kann, ist das ein Zeichen für die Richtigkeit der Klubidee. Die Konzeption des Klubs blieb bis heute im Grundsatz unverändert. Die Gewichte der einzelnen Komponenten wurden neu verteilt, wobei die fünf Jahre Erfahrungen unbedingt notwendig waren. Die Anode ist Treffpunkt junger Leute mit verschiedenen Interessen, ihr Angebot muß deshalb auch differenziert sein. Der spezifische Klubcharakter entsteht durch das gleichzeitige Anbieten verschiedener Möglichkeiten. Kein Gast wird gezwungen, am Programm teilzunehmen oder zu gehen, sondern er hat fast immer die Chance, in andere Räume auszureichen. Der politisch-literarische Inhalt kam dorthin, wo er in einem Klub hingehört: in die Gespräche. Es gibt keine Vorträge mehr, sondern „interessante Gäste", die über bestimmte Themen mit den Besuchern reden.

Der Klub wird von einem ehrenamtlichen Klubteam und einem hauptamtlichen Jugendpfleger unterhalten. Auf freiwilliger Basis wird die anfallende Arbeit — wie Besetzung der Bar, Diskothek, Reinemachen usw. — im Klubteam monatlich aufgeteilt. Auch über Neuaufnahmen ins Klubteam entscheidet dieser Kreis. Der Klubleiter ist den Beschlüssen des Teams mit einer Ausnahme unterworfen: in Einrichtungsfragen kann er allein entscheiden, um einen einheitlichen Stil zu wahren. Außer der laufenden Unterhaltung des Klubs erledigt das Team nach Möglichkeit alle Reparaturen und Renovierungen. Die langwierigste und umfangreichste Arbeit, die bisher von den ehrenamtlichen Helfern geleistet wurde, war der Ausbau von zwei neuen Räumen. Diese Räume wurden am Vorabend des 1. Mai eröffnet. Neben den beiden ursprünglichen Räumen, die bisher für Gespräche, Film, Tanz und Fernsehen genutzt wurden, hat der Klub jetzt einen „ruhigen" Raum für Schach, Bücher und Zeitungen und Billard sowie einen „lauten" Raum für Tischtennis und Werkstatt geschaffen. Damit zeichnen sich auch die Grenzen seiner Möglichkeit ab: um an drei Tagen in der Woche — donnerstags, freitags und sonnabends — öffnen zu können, ist ein Klubteam von etwa 40 Personen erforderlich. Je größer das Klubteam ist, desto schwieriger werden demokratische Entscheidungen. Die Gesprächshäufigkeit unter den einzelnen Klubteammitgliedern verringert sich bei steigender Mitarbeiterzahl. Ebenfalls sind die Gäste von diesem Prozeß betroffen: die persönliche Atmosphäre, die jetzt noch gewährleistet ist, würde bei nochmaliger Erweiterung verlorengehen.

Die DAG-Jugend meint, mit diesem Klub ein praktikables Beispiel für der heutigen Zeit angemessene Jugendarbeit gegeben zu haben.

  • Der Blickpunkt Nr. 181 Juni 1969, S. 41

 

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