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Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
 

Biete Epstein, was er will
Die Beatles in Hamburg

Am 21. Januar 1962 saß der frischgebackene Star-Club-Geschäftsführer Horst Fascher im Flugzeug nach Liverpool. Mit von der Partie war Roy Young, ein englischer Pianist, der bereits seit 1960 in den Hamburger Clubs auftrat und Fascher als Dolmetscher bei Vertragsverhandlungen diente. Ihr Auftrag: Bands buchen für den neuen Star-Club. Unter anderem auch die Beatles.

Fascher und die Beatles kannten sich schon aus Indra-Zeiten. Wen Fascher allerdings nicht kannte, war der neue Manager, der seit ein paar Monaten die Geschäfte der Band leitete - Brian Epstein. Fascher: «Epsteins Büro war am Whitechapel, einer der Hauptverkehrsstraßen von Liverpool, im ersten Stock über dem NEMS-PIattengeschäft. Er hörte uns recht interessiert zu, als wir vom Star-Club erzählten, aber dann druckste er herum. Die Beatles hatten nämlich vor einem halben Jahr Top Ten-Chef Peter Eckhorn versprochen, auch bei ihrem nächsten Hamburg-Trip wieder in seinem Club zu gastieren. Und Epstein und Eckhorn hatten bereits miteinander telefoniert und als Starttag des neuen Beatles-Engagements den 1. März 1962 abgesprochen. Nun wollte Epstein wegen des neuen Clubs nicht unbedingt sein Versprechen brechen. Zumal die Beatles im Top Ten gute Erfahrungen gemacht hatten. Und so weiter.

Daraufhin rief ich von Liverpool aus Weißleder an. Der gab mir freie Hand: <Ich will die Beatles haben. Biete Epstein, was er will.)

Also begann ich mit Epstein zu schachern. Bei ihrem letzten Top Ten-Gastspiel hatten die Beatles 200 Mark pro Mann und Woche verdient. Inzwischen standen sie bei 350 Mark. Ich bot Epstein also 500 an, freie Flüge nach Hamburg und zurück - und einen Extra-Tausender für ihn unterm Tisch. Epstein grinste, ließ die Geldscheine verschwinden, und fünf Minuten später war der Vertrag unterschrieben.»

So begann eine lange und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Beatles-Manager und dem Star-Club. Top Ten-Boss Eckhorn bekam von Brian Epstein übrigens zwei Tage später einen Brief: «Leider sind die Beatles am l. März nicht verfügbar, weil sie einen Monat später woanders in Hamburg auftreten werden. Vielleicht ist es aber möglich, Ende des Jahres einen anderen Termin zu arrangieren.» Dazu kam es nie.

Am 12. April 1962, einen Tag vor der Star-Club-Eröffnung, kamen die Beatles auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel an. In ihrer Begleitung waren Brian Epstein und die Mutter von Stuart Sutcliffe. Stu war bis zum Herbst '61 der fünfte Beatle gewesen, hatte sich in Hamburg aber in die Fotografin

Astrid Kirchherr verliebt, einen Studienplatz an der Kunsthochschule Lerchenfeld bekommen und war deshalb in der Hansestadt zurückgeblieben. Die Beatles freuten sich sehr auf das Wiedersehen mit ihrem alten Freund, doch als sie durch den Zoll kamen, sahen sie nur Astrid.

Horst Fascher, der die Beatles abholte, erlebte die Szene mit: «Die Beatles sahen sich ratlos um. <Wo ist Stu?> fragte John Lennon. Astrid fiel ihm schluchzend an die Brust: <Stu ist tot. Er ist vorgestern an einem Gehirntumor gestorben!> Alle waren wie gelähmt. Die Nachricht traf die Beatles wie ein Hammer. Eben noch hatten sie herumgefeixt und sich auf ihren alten Kumpel gefreut -und jetzt dies! Lennon flippte total aus und konnte sich kaum mehr beruhigen. Paul und Pete weinten. George und Stus Mutter lagen sich schluchzend in den Armen. Diese Stunde war die bitterste, die ich mit den Beatles verbracht habe. John hat sich später völlig betrunken, und auch die anderen versuchten, ihren Schmerz irgendwie zu betäuben. Ich brachte noch die Gruppe in ihr Quartier in der Großen Freiheit, dann ging ich. Sie mußten mit ihrem Kummer allein fertig werden.»

Bis zur Star-Club-Premiere am nächsten Abend hatten sich die Beatles wieder im Griff. Niemand merkte ihnen ihren tragischen Verlust an. Sie feierten und tranken mit den anderen, und alle hatten mächtig einen sitzen.

Fascher: «Brian Epstein war so voll wie noch nie in seinem Leben. Nachdem wir morgens um 6 Uhr geschlossen hatten, zog er um ins Sascha nebenan, um noch weiterzutrinken. Bis dann nichts mehr ging und er im Vollrausch über seinen Tisch kippte und einschlief. John Lennon entdeckte ihn dort wenig später, orderte an der Bar einen halben Liter Bier und kippte Epstein das Zeug über den Kopf. Das brachte ihn jedenfalls soweit wieder hoch, daß Lennon seinen Manager ins Hotel schaffen konnte.» Epstein logierte im Hotel, die Beatles nicht. Die wohnten schräg gegenüber vom Star-Club im ersten Stock über dem Striplokal Kolibri. Weißleder hatte die ganze Etage als Band-Unterkunft gemietet. Zu viert lebten die Beatles da in zwei Zimmern und schliefen in eisernen doppelstöckigen Luftschutzbetten. Im Gegensatz zu den Unterkünften, die den Bands von den Hamburger Clubs zuvor gestellt wurden, war das geradezu feudal. Sogar eine Dusche gab es. Und weil auf dieser Etage alle Star-Club-Gruppen wohnten, ging es natürlich auch immer hoch her.

Die Beatles waren dabei stets ganz vorn. Berühmt ist die Geschichte, wie sie angetrunken aus dem Fenster pinkelten und dabei wohl recht absichtlich einen Trupp Nonnen näßten, der gerade die Große Freiheit hochzog. Meist aber waren ihre Scherze weniger geschmacklos und mehr purer Unsinn. So besuchten die Beatles eines Sonntagmorgens mit einigen anderen Musikern den Altonaer Fischmarkt. Dort kann man von der Banane bis zum Kleiderschrank so gut wie alles kaufen. Die Beatles, nicht mehr ganz nüchtern, kauften sich ein Spanferkel. Lebendig natürlich. Das kam an die Leine, wurde nach dem Kaiserkeller-Besitzer Koschmider «Bruno» getauft und von John Lennon kurzerhand zum Hund erklärt. Doch Bruno weigerte sich, zu bellen und brav an der Leine zu trotten. Also bekam er auf dem Heimweg zur Großen Freiheit ab und zu einen Tritt, damit er voranging. Und weil man in Deutschland Kinder, aber keine Tiere schlagen darf, alarmierten verstörte Passanten prompt die Polizei. Horst Fascher: «So durfte ich die Beatles wieder mal auf der Davidwache abholen - nicht zum ersten- und auch nicht zum letztenmal.» Brunos ereignisreiches Leben endete 24 Stunden später bei einem Schlachter. Sein Leichnam wurde in der Star-Club-Band-Unterkunft in kürzester Zeit vertilgt. Vor allem John Lennon entwickelte sich bald zum Schrecken der Reeperbahn, an dem Keith Moon, gefürchteter Schlagzeuger der Who, seine helle Freude gehabt hätte. Horst Fascher: «Star-Club-Chef Manfred Weißleder war privat ein begeisterter Jäger. Jedes Jahr flog er für ein paar Wochen auf Safari nach Afrika oder Asien. Wenn er zurückkam, brachte er immer ein paar neue Trophäen mit, die er teils in seiner Wohnung, teils im

Star-Club-Büro aufhängte. Nun hing dort im Büro auch ein großes Orang-Utan-Fell, das Weißleder aus Borneo mitgebracht hatte. Dieses Fell <borgte> sich Lennon eines Abends klammheimlich aus. Er schlüpfte hinein, hängte sich seine Gitarre um und kam so auf die Bühne. Der Erfolg war gewaltig, alle im Star-Club brüllten vor Lachen. Und obwohl Lennon unter der Affenhaut fürchterlich schwitzte, berauschte ihn sein King-Kong-Gag so sehr, daß er drei Auftritte lang das gitarrenspielende Wundertier mimte. Als der Star-Club morgens schließlich dichtmachte, war John Lennon gerade so richtig in Fahrt gekommen. Er band sich einen Strick um den Hals, drückte Paul McCartney die Leine in die Hand, und ab ging's auf allen vieren in Richtung Reeperbahn. Mit wildem Affengegrunze sprang er alle Passanten an, die ihm entgegenkamen, und sorgte für reichlich Panik. Die Leute hielten Lennon auf den ersten Blick tatsächlich für eine Art Gorilla - da kann man sich leicht vorstellen, was los war.

Schließlich kamen Lennon und McCartney bei ihrer Affentour auch in die Talstraße. Dort stürmten sie mit wildem <Huhuhu> eine Kneipe. Lennon sprang auf einen Tisch und riß die große Solo-Show ab. Die Gäste im Lokal fanden das wohl nicht so gut. Sie türmten. Ohne ihre Zeche zu bezahlen - das jedenfalls sagte später der Wirt, der beim Auftauchen der beiden Beatles sofort die Polizei alarmierte. Und so bekam ich kurz darauf wieder einmal einen freundlichen Anruf des diensthabenden Wachtmeisters der Davidwache, daß ich zwei verrückte Beatles aus der Arrestzelle abholen könnte.

Der Talstraßen-Wirt war ziemlich sauer und wollte die Beatles für den entstandenen Schaden haftbar machen. Wir einigten uns schließlich, und er bekam für die nicht einkassierten Zechen 150 Mark. Die zog ich den Beatles dann beim nächsten Zahltag wieder ab.»

Bei Beatles-Aktionen wie mit Bruno, den Nonnen oder dem Affenfell war natürlich Alkohol im Spiel, und das meist nicht zu knapp. Fascher: «Also, ohne zu übertreiben: die Beatles waren bald jeden Tag voll. Das heißt, sie waren nicht immer so voll, daß sie nicht mehr wußten, was los war. Aber sie soffen jeden Tag. Sie hatten ja auch so viele Freunde inzwischen in Hamburg, und wenn sich jemand im Star-Club ein spezielles Lied von ihnen wünschte, gab es ja auch gleich immer eine Runde. Da gingen die Kellner hin und sagten: <Spielt doch mal Roll Over Beethoven, und außerdem soll ich fragen, was ihr trinkt.) Die Beatles tranken immer Cola-Rum, Whisky-Cola und Bier, und jede Nacht gab es Getränke in reichlichem Maße umsonst. Wenn sie dann die gewünschte Nummer spielten, bimmelte immer eine der Barfrauen an einer Glocke oder ließ die Lampen über ihrer Bar pendeln, damit die Beatles wußten, aus welcher Ecke dieser Freidrink kam.»

Tony Sheridan erinnert sich an die Folgen der Promille-Schlachten: «Wenn man in die Band-Unterkunft kam, lagen immer irgendwelche Kotzhaufen in den Ecken. Einige waren mit kleinen englischen Fähnchen an Zahnstochern verziert. Das sah richtig niedlich aus.»

Manchmal wurde bis zum Umfallen gesoffen. Eines Morgens machte Horst Fascher nach Feierabend noch einmal einen Kontrollgang durch den leeren Star-Club: «Das war eine meiner Pflichten als Geschäftsführer. Es gab ja immer wieder mal Leute, die zuviel getrunken hatten und noch irgendwo rumlagen, oder Musiker, die in der Garderobe eingeschlafen waren. Da sah ich ganz hinten in einer Ek-ke noch jemanden sitzen. Als ich hinkam, war es George Harrison, der dort schlief. Ich schüttelte ihn und sagte, er soll in sein Zimmer gehen, aber er lallte nur: <Ich kann nicht, ich bin zu betrunken.) Da meinte ich: <Wenn du trinken kannst, kannst du auch nach Hause gehen>, und versuchte, ihn hochzuziehen. Das gelang mir auch, aber kaum hatte ich ihn oben, sackte George auch schon wieder zusammen wie ein Taschenmesser. <Come on, get up>, rief ich und versuchte, ihn mit leichten Fußtritten in den Hintern zum Rausgehen zu bewegen. Aber er kam überhaupt nicht hoch und fing dann an, auf allen vieren zu krabbeln. Unterwegs klappte er immer wieder zusammen. Der Star-Club war nun ziemlich groß, und da brauchte ich schon so zwanzig oder dreißig Fußtritte, bis ich ihn an der Tür hatte. George kroch langsam auf allen vieren vor mir her, aus dem Star-Club raus und quer über die Große Freiheit bis zur Musikerunterkunft. So voll wie an diesem Tag habe ich ihn nie wieder erlebt.» Doch Fascher hat auch andere Erinnerungen: «Irgendwann abends war ich einmal drüben auf der Musikeretage. Alle Zimmer waren leer, nur in einem Raum saß Paul McCartney und spielte etwas auf seiner Gitarre. Er fragte mich, ob ich ein wenig Zeit hätte, er habe gerade einen neuen Song komponiert und würde ihn mir gern mal vorspielen. <O. k.>, sagte ich und setzte mich hin. Paul spielte ein paar Akkorde und begann dann zu singen: <Love, love me do, you know, I love you . . .> Ich fand das Stück gut und sagte es Paul auch, aber ich habe natürlich nie daran gedacht, daß die Beatles mit dieser Nummer nur wenige Monate später eine gigantische Karriere starten würden.» Das erste Star-Club-Gastspiel der Beatles ging vom 13. April bis zum 31. Mai. Sechs Monate später, am

I. November, begann ihr zweites Engagement. Es dauerte bis zum 14. November und brachte der Band pro Mann und Woche 600 Mark. Doch inzwischen hatte sich mehr als nur ihre Gage verändert.

Noch während ihrer ersten Star-Club-Verpflichtung bekamen die Beatles ein Telegramm von Brian Epstein:

CONGRATULATIONS BOYS. EMI REQUEST RECORDING SESSION. PLEASE REHEARS E NEW MATERIAL.

Das hatte Folgen: Im August feuerten die Beatles ihren Drummer Pete Best und holten sich als neuen Trommler Ringo Starr von Rory Storm & the Hurricanes. Zwei Wochen später schloß EMI-Produzent George Martin mit ihnen einen Plattenvertrag. Am 11. September gingen die Beatles in London ins Studio und nahmen ihre erste Single mit dem Titel Love Me Do/P. S. I Love You auf. Am 5. Oktober erschien die Platte in England auf dem Markt. Als Horst Fascher die Beatles am 1. November vom Flughafen abholte, mußte er zweimal hinsehen, um die Gruppe wiederzuerkennen: «Statt Lederanzügen oder Röhrenjeans trugen die Beatles mit einemmal Anzug mit Weste, weißes Hemd und Krawatte. Nur die Großvaterstiefel mit Gummizug an der Seite, die sie früher schon liebten, waren geblieben. Ansonsten waren ihre Haare länger und frisch gewaschen, und selbst die üblichen schwarzen Fingernägel waren verschwunden. Brian Epstein hatte seine Jungs optisch total umgekrempelt.» Menschlich allerdings blieben sie die alten. Und knüpften gleich wieder ihre alten Verhältnisse an.

Mit Ausnahme von George Harrison, der sein Glück lieber auf freier Wildbahn versuchte, hatten alle Beatles in Hamburg feste Freundinnen. Paul McCartney ging damals mit Cory, der achtzehnjährigen Tochter des Wirts der Blockhütte. Das war ein Lokal am oberen Ende der Großen Freiheit, wo sich die Musiker oft in ihren Spielpausen trafen. Ringos Mädchen hieß Carla. Und John Lennon hatte Betty. Betty hieß eigentlich Bettina Derlin, war Barfrau im Star-Club, hatte einen mächtigen Busen und war jederzeit bereit, den Beatles auch noch die Klamotten zu waschen und ab und zu für sie zu kochen. John mochte sie sehr - was ihn aber nicht daran hinderte, sich manchmal auch anderweitig umzusehen. Fascher: «Zu meinen Aufgaben als Geschäftsführer gehörte es auch, die Musikerunterkünfte regelmäßig nach Mädchen zu durchsuchen. Nicht, weil wir den Jungs ihren Spaß nicht gegönnt hätten. Aber damals gab es noch den Kuppeleiparagraphen in aller Schärfe. Und hätte die Polizei mal ein Mädchen gefunden, wäre der Star-Club wegen Begünstigung und Vorschubleistung der Ausübung von Unzucht) drangewesen. Weil die Behörden uns sowieso auf dem Kieker hatten, war es also besser, vorzubeugen. Diese Kontrollgänge mußten also sein, ob es den Musikern und mir gefiel oder nicht. Eines Abends nun machte ich wieder meine Runde. Nicht mehr ganz nüchtern, weil es schon spät war und es im Star-Club immer feucht herging. Aus einem der Beatles-Zimmer drangen eindeutige Quietschgeräusche - die Federn der Betten, in denen die Musiker schliefen, gaben bei größerer Beanspruchung immer solche Geräusche von sich. Ich öffnete die Tür und spähte hinein: Es war John Lennon, der dort wieder einmal seiner liebsten Freizeitbeschäftigung nachging. Ich trat ins Zimmer, aber John und sein Mädchen waren viel zu beschäftigt, um mich zu bemerken.

Blau wie ich war, wußte ich dennoch, daß eine kalte Dusche in so einem Fall der beste <Trenner> ist. Nur: eine Dusche gab es in dem Zimmer nicht. Ich hatte eine andere Idee, stellte mich hinter die beiden, öffnete meine Hose und ließ all das Bier, das ich an dem Tag schon getrunken hatte, auf das Pärchen niederplätschern. Klatschnaß und wild fluchend sprangen die beiden hoch, aber weil ich so was wie Lennons Vorgesetzter war und er wußte, daß ich Mitglied im Boxclub und Hamburger Meister im Weltergewicht war, blieb es bei den Flüchen. Die nächsten zwei Tage hat er dann nicht mit mir gesprochen, aber später haben wir uns über diese Szene fast totgelacht.»

Noch ein zweites Mal störte Fascher Lennons Liebesleben: «Einmal fiel mir auf, daß nur drei Beatles auf der Star-Club-Bühne standen. John Lennon fehlte. Das ging natürlich nicht, schließlich bezahlten wir für vier Musiker. Ich ging also nach vorn und fragte Paul McCartney, wo John steckt. <Der ist hinten und pinkelt!> meinte Paul, drehte sich um und sang weiter.

Also ging ich hinter die Bühne zu den Musikertoiletten, die direkt neben dem Duschraum und den Garderoben lagen. Eine Klotür war verschlossen, ich klopfte, keine Antwort. Ich klopfte noch mal, wieder nichts. Irgendwas stimmte da nicht. So betrat ich den Duschraum, der vom Klo durch eine oben offene Holzwand abgetrennt war, kletterte auf die Wasserhähne und sah über die Barriere hinweg. Natürlich war John Lennon auf dem Nachbarklo, und zwar in eindeutiger Pose. Ich dachte daran, wie ich ihn das letzte Mal von der Frau geholt hatte. Jetzt hing die Handbrause gleich neben mir. Ich hielt sie über die Brüstung und drehte den Kaltwasserhahn voll auf.

Ein Schrei antwortete auf den unverhofften Guß. Blitzschnell war Lennon aus dem Klo heraus und fluchte auf englisch und deutsch durcheinander. Mich ließ das alles kalt: <Los, Lennon, auf die Bühne, dafür wirst du hier bezahlt!) - <Wie denn, du Ochse, mein ganzes Zeug ist naß!> - <Ist mir doch egal, geh doch nackend!> Mit diesen Worten verschwand ich.

Fünf Minuten später begannen die Gäste im Star-Club plötzlich fürchterlich zu lachen. Ich drehte mich zur Bühne um und hielt es auch nicht mehr aus: Da stand John Lennon, nackt bis auf Stiefel und Unterhose, und sang Twist And Shout. In der Hand hatte er seine Gitarre, um den Hals eine Klobrille. Die hatte er in seinem Frust mit Gewalt abgerissen. Alle im Club johlten vor Vergnügen. Ich auch. Und weil wir unseren Riesenspaß daran hatten, brauchte Lennon die Reparatur des Klos dann auch nicht zu bezahlen. Das übernahm der Star-Club - dieser Gag war es uns wert.» Am 18. Dezember kamen die Beatles zu ihrem dritten und letzten Gastspiel in den Star-Club. Wieder für nur vierzehn Tage - bis zum 31. Dezember - und wieder für eine höhere Gage als zuvor. Nun kosteten sie 750 Mark pro Mann und Woche, und daß sie überhaupt noch einmal kamen, war Glück. Ihre erste Single Love Me Do begann gerade in der englischen Hitparade zu steigen, und Brian Epstein wollte die Band jetzt gezielt in England einsetzen. Diesmal wohnten die Beatles nicht mehr in den Räumen an der Großen Freiheit, sondern in der neuen Band-Herberge des Star-Club, dem Hotel Pacific am Neuen Pferdemarkt, wo für die Gruppen stets eine ganze Etage reserviert war. Im Pacific feierten die Beatles auch wenige Tage später Weihnachten.

Horst Fascher: «Heiligabend war der einzige Tag im Jahr, an dem der Star-Club geschlossen war. Statt dessen hatte Manfred Weißleder im Pacific eine Weihnachtsfeier organisiert, um seinen englischen Musikern, die nicht bei ihrer Familie sein konnten, ein Fest wie zu Hause zu bieten. Es gab Truthahn, jede Menge zu trinken und als Überraschung von Weißleder für jeden Musiker ein goldenes Armband. Und als wir alle blau waren, hockten wir einträchtig beieinander und sangen Weihnachtslieder. Paul McCartney begleitete uns dabei am Klavier. Außer Gerry & the Pacemakers weiß ich nicht mehr, wer sonst noch dabei war - die Bands im Star-Club wechselten ständig - doch an diesem Abend wurden die sonst so harten Burschen alle ziemlich weich und sentimental.»

An den letzten Beatles-Auftritt Silvester '62 kann sich Fascher nicht mehr erinnern: «Dazu waren wir alle an dem Tag viel zu betrunken!» Am nächsten Tag, Neujahr '63, brachte er die Beatles zum letztenmal zum Flughafen. <Tschüß Horst>, sagte Lennon zu mir, <ich glaube, dieser Abschied ist für länger. Wir werden nicht mehr in den Star-Club zurückkehren. Ich habe da so ein Gefühl . . .»> Sein Gefühl hatte John Lennon nicht getrogen. 1963 wurde für die Beatles das Jahr von Please Please Me, From Me To You, She Loves You und / Want To Hold Your Hand. Die Zeiten, in denen sie für 40 Mark pro Mann und Nacht stundenlang drauflosrockten, waren unwiederbringlich vorbei. John Lennon 1970 in seinem Rolling Stone-lnterview: «Als wir jünger waren, haben wir uns auf der Bühne wild bewegt. Wir sprangen herum und machten all das, was die Bands heute tun: Sachen kaputtschlagen, mit einem Klodeckel auf die Bühne kommen und pissen und scheißen. Das machten wir in Hamburg. Das war etwas, was man macht, wenn man sieben oder acht Stunden spielt. Sonst gibt es nichts zu tun, du schlägst den Laden zusammen und beschimpfst die Leute. Dann wurden wir elegant und hörten mit solchen Sachen auf. In Liverpool, Hamburg und in anderen Tanzhallen früher waren wir performers, und was wir machten, war phantastisch. Wir spielten straight rock, und es war in England keiner da, der an uns rankam. Sobald wir es geschafft hatten, machten wir es zwar immer noch, aber die Ecken und Kanten waren abgeschlagen. Brian steckte uns in Anzüge und all das, und wir wurden sehr, sehr groß. Aber wir hatten uns verkauft. Unsere Musik war tot, noch ehe wir in England unsere Theater-Tour starteten. Wir fühlten uns beschissen, weil wir unser Ein- oder Zweistundenprogramm, über das wir in einer Weise glücklich waren, nun auf zwanzig Minuten reduzieren und diese zwanzig Minuten dann jede Nacht wiederholen mußten. Die Beatles-Musik als Werk von Musikern starb, als Musiker entwickelten wir uns so nicht weiter. Wir vermißten später immer die Club-Auftritte, weil wir nur dort wirkliche Musik gemacht haben.»

1965 versuchte Manfred Weißleder noch einmal, die Beatles für einen Tag in den Star-Club zurückzuholen. Vom 20. Juni bis zum 5. Juli war die Gruppe auf Tournee durch Frankreich, Spanien und Italien. Das letzte Konzert fand in Barcelona statt. Zwei Tage später, am 7. Juli, sollten die Beatles einen Star-Club-Auftritt anhängen. Doch alle Bemühungen scheiterten aus Termingründen. Sechs Wochen später starteten die Beatles vor 55000 Fans im Shea Stadium New York ihre dritte USA-Tournee. Erst am 26. Juni '66 kehrten die Beatles für ein Konzert nach Hamburg zurück, allerdings in die Ernst-Merck-Halle. Im Star-Club wartete man in dieser Nacht darauf, daß mindestens einer der berühmten vier noch auf ein Bier vorbeischauen würde. Manfred Weißleder: «Es war ihnen von der Polizei verboten worden, den Star-Club zu besuchen, weil angeblich die Sicherheit nicht garantiert werden konnte. Sie sind dann aber trotzdem gekommen, nachts um 2 vom Hotel in Tremsbüttel mit der Taxe. Da sind sie aus dem Fenster geklettert.» So endet die gemeinsame Geschichte der Beatles und des Star-Club. Die Geschichte des Star-Club aber fängt jetzt erst richtig an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Editorischer Hinweis

Der Text wurde entnommen aus:

Beckmann, Dieter
Martens, Claus
STARCLUB
Reinbek
1980
S. 22ff

OCR-Scan by red. trend

 

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