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Archiv Rock und Revolte
Texte

 
Die Beat-Generation
von Walter Hollstein

Die erste Protestbewegung, die sich sieht- und merkbar aus dem umfassenden System einer geschlossenen Gesellschaft ausgliederte, war die amerikanische Beat-Generation. In historischem Rückblick muß sie als wegweisende Vorhut einer wachsenden Entzweiung mit dem System gesehen werden. Ihre unheldische Rebellion erwuchs aus dem Überdruß; ihr Motto war das deutliche Wort Celines, das Henry Miller in seinem »Red Notebook« zitiert: »Je pisse sur tout d'une grande hauteur.«

Die Abneigung einmal rüde und ungehobelt beim Namen zu nennen, bezeichnete den Beginn eines epochemachenden Bewußtwerdens über die mißliche Beschaffenheit der Nation und bereitete den Auszug aus dem System vor. Die Disaffiliation der Beats stellte in einer Epoche, da Herrschaft den einzelnen überallhin mit ihrem Einfluß und Prägungsdruck verfolgte, einen durchaus revolutionären Akt dar. Erst allein und sich selber überlassen, konnte der Beat über seine Person und Zeit nachdenken und zur Befreiung von aller Herrschaft sich vorbereiten. Fern von »Squareville« - der Welt der Bürger und Spießbürger - sollte Neuland gesucht werden.

Der herrschaftsfreie Raum, in dem das »Man, Know Thyself« und damit die notwendige Emanzipation verwirklicht werden konnten, wurde unterhalb der offiziellen Welt gefunden. Souterrain-Wohnungen und feuchte Keller symbolisierten den freiwilligen Abstieg in den »Untergrund« und bewirkten, daß die Beats zu »Unterirdischen« (»Subterraneans«) erklärt wurden(5). In den Tiefen der Gesellschaft, wohin das System mit seinem korrumpierenden Einfluß nicht vorzudringen wußte, hoffte man eine Welt zu überleben, die sich mit den eigenen Waffen selber zu vernichten drohte. Schwärzer als der dunkle Untergrund gab sich die Aussicht auf Zukunft und Leben in der offiziellen Welt Amerikas, wo Stevenson gescheitert war, Korea den Dritten Weltkrieg wenige Jahre nach Ende des Zweiten heraufbeschwor, McCarthy Nonkonformisten jagte und das unbeschwerte Grinsen Eisenhowers nachgerade zum Sinnbild für den Tanz des Systems auf dem Vulkan wurde. Hoffnung war heimatlos geworden; Utopien starben im Bombenhagel der Kriege und in den Gefängnissen Stalins. Da mußten sich die »Unterirdischen« illusionslos zeigen und einsames Leben im Untergrund führen. Sie waren »hip« - wußten Bescheid und erhofften nichts. Jack Kerouac schrieb, daß er Seelen und Städte von der übersichtlichen Warte seines Elfenbeinturms erforsche, und Michael McClure bekannte, daß er die Musik seines Selbst höre und sie niederschreibe, auf daß keiner sie lese, daß er die Völker seines Ich besuche und alles wisse, was er wissen müsse(6). Alan W. Watts - noch mehr als ein Jahrzehnt später dem neuen Untergrund verpflichtet - erklärte, daß die Weigerung der jüngeren Generation, am amerikanischen Lebensstil teilzunehmen, kein Aufstand kämpferischer Helden sei: Die »Unterirdischen« kehrten der offiziellen Welt den Rücken und suchten Erfüllung in der subjektiven Welt(7). Solches bedeutet auch den Namen der »Beat-Generation«: »geschlagen« von dem System, sucht man das »Glück« (beati-tude«) in anderer Welt(8). Sammelpunkte der Bewegung waren San Francisco, Venice bei Los Angeles und Greenwich Village (New York). In San Francisco schuf Lawrence Ferlinghetti mit seinen »City Light Books« ein Forum für William Burroughs, Allen Ginsberg und Gregory Corso, versammelte man sich im Cafe »The Cellar« und stellte Kenneth Rexroth die neue Generation zum erstenmal der Öffentlichkeit vor. Die Beat-Generation repräsentierte freilich weder ein gemeinsames Programm noch eine umfassende Organisation. Dezentralisierung, Disengagement, Machtlosigkeit und Freiheit als gewollte Qualitäten der Bewegung verhinderten das eine wie das andere. Nach dem Auszug aus der fixierten Gesellschaft sehnte man sich nach einem Leben ohne Fixpunkte. Eher noch als zu einer formierten Gemeinschaft (»community«) bekannte man sich zum lockeren Verband des Stammes (»tribe«). Ein primitiv kommunistischer Sinn für gegenseitige Hilfe, Gastfreundschaft, Besitzlosigkeit, Freundschaft und Unterstützung nach außen definierte diese »Stämme«, deren Offenheit und Formlosigkeit der Beat-Generation den ständigen Ortswechsel gestattete. Die Rastlosigkeit charakterisierte die Bewegung am deutlichsten; der Beatnik war fast immer unterwegs (»on the road«) und glaubte dergestalt, dem Prägungsdruck des Systems und allen seinen Bindungen am ehesten entgehen zu können. Die geographische Veränderung ermöglichte die geistige; sie befreite und illustrierte Freiheit. In Kerouacs »The Dharma Bums« meint Japhy: »Ich habe eine Vision von einer großen Rucksackrevolution, Tausende oder sogar Millionen junger Amerikaner, die mit Rucksäcken 'rumwandern, auf Berge gehen, um zu beten, Kinder zum Lachen bringen und alte Männer froh machen, junge Mädchen glücklich machen und alte Mädchen noch glücklicher, alles Zen-Besessene, die 'rumlaufen und Gedichte schreiben, die ihnen zufällig und ohne besonderen Anlaß ein-fallen, und die durch Freundlichkeit und auch durch seltsame, unerwartete Handlungen ständig jedermann und jeder lebenden Kreatur die Vision ewiger Freiheit vermitteln(9)...«

Auf Autonomie und Emanzipation zielte alles; Reisen, Wandern, Sprechen, Musizieren, Tanzen, Feiern, Lieben, Malen oder Schreiben dienten der Befreiung. Michael McClure notierte: »Das äußerste Ziel ist die Freiheit des Individuums, ein Seraph, ein Führer, ein Held, ein Wolf oder ein Lamm zu werden, das Gleichmaß, die Logik und die Gesellschaft zu zerstören. Und an ihre Stelle zu setzen: Chaos, Wahrheit, Wandlung(10).« Da solches die Wirklichkeit weithin verwehrte, kamen der Poesie, dem Jazz, Marihuana und langen Nächten des enthusiastischen Erzählens in der Beat-Generation wesentliche Bedeutung zu. In ihrem Zentrum fand sich der Künstler; er konnte befreien und in seinem Werk, das er dem »Stamm« mitteilte, jenes von allen gesuchte andere und Bessere vorstellen(11). Kunst drückte aus, was die Bewegung fühlte und wollte, benutzte ihre formlos-wilde Sprache und schaffte - fern aller Konvention und jedweden Akademismus — Euphorie, Ekstase, Rausch und neues Leben. Das erklärt, warum sich die Beat-Generation, wie Tuli Kupferberg es einst beschrieb, Bacchus-Dionysos, Bakunin, Big Bill Haywood, Trotzki, Castro, Rimbaud, Baudelaire, van Gogh, Chaplin, Rabelais, Wilhelm Reich und den Marx Brothers verpflichtet fühlte und sie stolz ihre Ahnen in Passion und Anarchie nannte. Der Eudämonismus der Beat-Generation als erklärbare Antwort auf die Glücklosigkeit der Welt brachte die Bewegung in Verruf; frustrierte Bürger und Politiker entrüsteten sich laut und denunzierten Rastlosigkeit, Unstetigkeit, Hedonismus und Disaffiliation der Beats als kriminell. Kerouac entgegnete: »Und doch, und doch, wehe jenen, die da glauben, Beat-Generation bedeute Verbrechen, Unmoral, Amoral . . . wehe jenen, die die Beats angreifen, und einfach nichts von Geschichte verstehen und nichts von den tieferen Träumen der Menschenseele . . . wehe jenen, die nicht verstehen, daß Amerika sich wandeln muß, sich wandeln wird und jetzt schon dabei ist, sich zu wandeln — zum Besseren, wie mir scheint. Wehe jenen, die auf die Atombombe vertrauen, die den Haß gegen Väter und Mütter predigen . . . wehe auch jenen, die schandbare Filme über die Beat-Generation machen(12)...« So direkt und emotional diese Replik sich zeigt, war die Kritik der Beats an ihrer Epoche. Im Mittelpunkt der ''Ablehnung stand, was die Beat-Generation als erste betraf: die bedrohende Möglichkeit der atomaren Weltzerstörung. Daraus ergab sich ein undifferenzierter Frontalangriff auf die unterdrückende Technik, die alles Schöpferische zerstöre und alles Orignelle vergewaltige. Hedonismus und frenetische Intensität der Beat-Existenz antworteten auf diese Tendenzen des Systems. Auch auf Brutalität und Aggression der Außenwelt hatte der Beat seine Antwort parat; er verwirklichte in seinen »Stämmen«, wie Gary Snyder es beschrieb, Liebe, Hingabe, Ehrfurcht vor dem Leben, Pazifismus und Anarchismus(13).

Den korrumpierenden Wohlstand der bürgerlichen Gesellschaft ersetzte die Beat-Generation durch selbstgewählte Armut. Besitzlosigkeit und Bescheidenheit verhinderten, was die offizielle Welt kennzeichnete: Hierarchie, Ausbeutung, Lüge und Korruption. Ein Beat-Autor beschied einen Werbe-Manager, der ihm Arbeit geben wollte, mit der negativen Antwort: »Ich schrubbe Ihre Fußböden und spüle Ihr Geschirr, wenn ich davon leben kann, aber ich denke nicht daran, für Sie zu lügen oder schmutzige Geschäfte zu machen(14).« Solch moralischer Rigorismus und Ekel zugleich erfüllten die Beats, wenn sie an die offizielle Gesellschaft dachten, »wo Millionen einander auf der Jagd nach Dollars drängen und stoßen: raffend, grabschend, gebend, seufzend, sterbend, in einem verrückten Traum, nur damit sie in jenen furchtbaren Friedhofstädten hinter Long Island City begraben werden(15)«. Die Beats verdienten, was sie für ihr Leben benötigten, mit Gelegenheitsarbeiten, Handlangerdiensten und Privatstunden, als Lehrer in Kunstschulen, als Interviewer, in der Keramikindustrie, als Postler oder auch - wie Allen Ginsberg - als Straßenarbeiter in Kanada. Japhy sprach in Kerouacs »Dharma Bums« aus, was niemand von ihnen mehr wünschte: »Daß man Produziertes verbrauchen soll und daher arbeiten muß, um überhaupt konsumieren zu dürfen, das ganze Zeug, das sie eigentlich gar nicht haben wollten, wie Kühlschränke, Fernsehapparate, Wagen, zumindest neue Wagen zum Angeben, bestimmte Haaröle und Parfüms und lauter solcher Kram, den man schließlich immer eine Woche später auf dem Mist wiederfindet, alle gefangen in einem System von Arbeit, Produktion, Verbrauch, Arbeit, Produktion, Verbrauch(16).« Daß der bezeichnete Teufelskreis von Produktion und Konsumtion ideologisch mit einem Netz des Betrugs und der Täuschung abgesichert werden muß, bezeichnete Lawrence Lipton in einem Gespräch mit Kenneth Rexroth als die große soziale Lüge der Epoche. Es war nicht die einzige, die die Beat-Generation enthüllte; sie klärten auf über den amerikanischen Krieg in Korea, die Korruption der Arbeiterführer, den Verrat der Regierung, die kaschierten Skandalaffären der Mächtigen oder die Diskrepanz zwischen politischen Slogans und politischer Realität. Die Beats wollten von der Gesellschaft nichts mehr wissen; sie kauften kaum Zeitungen und besaßen weder Radio noch Fernsehen, die sie der offenen und versteckten Propaganda ziehen. In den gleichen Topf der Irreführung und Hypokrisie warfen die Beats die Religion, auf die sie zahllose soziale Mißstände zurückführten, die bürgerliche Moral, deren Klassencharakter sie enthüllten, die traditionelle Kunst, deren stabilisierende Funktion für die bestehenden Verhältnisse sie nachwiesen, und die Politik, hinter deren offiziellem Gesicht sie Profitgier und Eigennutz fanden. »Die Welt erwies sich als phantastische Enttäuschung(17).« Darum wurde »ein totaler Bruch« mit ihr vollzogen; »der Untergrund winkte, der Gesellschaft war der Krieg erklärt(18)«.

Anmerkungen

5) Vgl. Jack Kerouac, Unterwegs. Hamburg 1959.
6) Vgl. Karl O. Paetel, Beat - Eine Anthologie. Hamburg 1962; Lawrence Lipton, Die heiligen Barbaren. Düsseldorf 1960 p. 144.
7) Alan W. Watts, Beat Zen, Square Zen and Zen. Chicago Review Sommer 1958-
8) Vgl. Jack Kerouac, The Origin of the Beat-Generation. Playboy Juni 1959.
9)  Jade Kerouac, Gammler, Zen und Hohe Berge, Hamburg 1963 p. 75; vgl. David McReynolds, After the Beat-Generation: Hipsters Unleashed, Liberation Juni 1959.
10) Michael McClure. Zit. n. Karl O. Paetel (Hrsg.) Beat aaO p. 15 f.
11) Vgl. Jeanne S. Bagby, The Psydiological Panorama Underlying the Beat-Generation. Liberation Mai 1959.
12) ade Kerouac a.a.O. Playboy. Dtsch. Übersetzung in: Karl O. Paetel (Hrsg.) a.a.O.
P. 32
13) Gary Snyder, Note on the Religious Tendencies, Liberation Juni 1959.
14) Zit. n. Lawrence Lipton a.a.O. p. 120.
15) Jack Kerouac, Unterwegs, Hamburg 1959. Zit. n. der Rowohlt-Taschenbuchausgabe von 1968 p. 98.
16) Jadt Kerouac, Gammler, Zen und Hohe Berge, a.a.O. p. 75
17/18) David McReynolds a.a.O.; vgl. John C. Holmes, The Philosophy of the Beat-Generation, Esquire Februar 1958.
 

  • aus: Hollstein, Walter, Der Untergrund, Berlin und Neuwied, 2. Auflage, 1970, S. 31-37

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