Die
Problematik einer solchen Konzeption kann an dieser Stelle nur
stichwortartig benannt werden: Die angelegte
Trennung von Aktivistenkollektiv (technische Organisation des Ladens,
Programmgestaltung, inhaltliche Dominanz in den AGs) und Jugendlichen
als bloß konsumierenden Gästen verhinderte die
Eigeninitiative der Jugendlichen and förderte das Austragen von
Aggressionen.
Im Gegensatz zum SJSZ wurde das Drugstore nicht von vielen
Jugendlichen erkämpft, sondern nach
Verhandlungen des Trägervereins "Sozialpädagogische Sondermaßnahmen
Berlin e.V." vom Bezirksamt zur Nutzung bereitgestellt. Das Drugstore
sollte mit seiner Randgruppenarbeit über die Hilflosigkeit
der öffentlichen Jugendpflege und Jugendfürsorgepolitik
hinwegtäuschen und gleichzeitig als Aushängeschild für die
"Fortschrittlichkeit" der Sozialbürokratie dienen. Zudem bietet die
Selbstorganisation der Jugendarbeit dem Senat neben
erheblicher Kostenersparnis im Personalbereich offensichtlich auch
ausreichende Kontrolle der Arbeit.
Das
gemeinsame Bedürfnis der Jugendlichen
nach einem Zentrum ohne Kontrolle and
Konsumzwang konnte sich nicht in gemeinsame
Aktionen umsetzen. Verstärkt wurde diese
Tatcache durch die Disparität der einzelnen Lebensbereiche
der Jugendlichen und den daraus resultierenden verschiedenen
Interessen.
Als Ausdruck hierfür
müssen die Diskussionen Anfang 73 nach dem
organisatorischen und inhaltlichen Zusammenbruch des
Drugstore's verstanden werden. Schüler, sozialpädagogisch
engagierte Genossen und
einige Lehrlinge versuchten in endlosen
Diskussionen, die Rekonstruktion des Ladens voranzutreiben und in der
Kritik an der bisherigen Praxis den Begriff der Selbstverwaltung
inhaltlich zu füllen. Andererseits wurde das Wohnproblem
für zahlreiche Treber immer dringender. Die Vermittlung dieser beiden
Interessenlagen konnte bloß ansatzweise auf einer mehr theoretischen
Ebene gelingen und blieb konsequenzlos.
Erst mit der
Besetzung des Drugstore's durch ca. 50 Trebe-jugendliche wurden
Solidarisierung und gemeinsamer Kampf
um das Haus Wilhelmstr.9 in Kreuzberg möglich. Durch
eine intensive Öffentlichkeitsarbeit,
die breite Flugblattagitation, Information in Presse,
Rundfunk und Fernsehen sowie Informationsfeten,
Pressekonferenzen und öffentliche Verhandlungen mit der
Senatsbürokratie in den besetzten Räumen umfaßte, konnten
weite Teile der Bevölkerung über die
berechtigte Forderung nach der Bereitstellung des Hauses in der
Wilhelmstraße unterrichtet werden.
Ebenso verfehlten Aktionen, wie der gemeinsame Gang zur
Wilhelmstraße, um dort zu duschen (im besetzten
Drugstore fehlten derartige Einrichtungen, zudem waren Krankheiten
aufgetreten) ihre Wirkung auf die
Öffentlichkeit nicht: Zahlreiche Geld- und Sachspenden trafen in
Drugstore ein.
Nach einwöchiger
Besetzung gab die Senatsbürokratie den Forderungen der Jugendlichen
nach. Das Haus in der Wilhelmstr. wurde in
Selbstverwaltung übernommen und nach dem von Bullen
ermordeten Genossen Tommy \Veissbecker benannt .
Die Nutzung des
Hauses ist vertraglich auf zweierlei Weise geregelt: Erstens wurde ein
Nutzungsvertrag zwischen dem SSB-Drugstore als
formalem Trägerverein
und dem als Hauptmieter fungierenden Berliner
Jugendclub e.V. abgeschlossen, letzterer übernimmt dadurch in
Konfliktfallen eine Pufferfunktion zwischen Forderungen der
Jugendlichen und der Bürokratie. Gleichzeitig konnte
der Senat eine Nutzungsvereinbarung durchsetzen, die ihm Möglichkeiten
zur Kontrolle und Disziplinierung garantiert: Die Vereinbarung enthält
die Heimparagraphen 78 und 79 des Jugendwohlfahrtsgesetzes sowie die
Auskunftspflicht über Anzahl, Status und Tätigkeit der einzelnen
Jugendlichen. Außerdem wurde ein monatlich tagender
Koordinationsausschuß vereinbart, durch den die Jugendlichen zu
Gesprächen über anstehende Probleme
verpflichtet sind. Dieser Ausschuß erfüllt für den Senat die Funktion
eines "Kontroll- und Frühwarnsystems."
Im
Weissbecker-Haus wohnen fast
ausschließlich ehemalige Trebegänger, darunter
einige, die in Gruppen des Drugstore's aktiv mitgearbeitet hatten. Auf
Mitarbeit oder Beratung durch Sozialarbeiter
wurde verzichtet. Die Anfangsschwierigkeiten des Hauses können
folgendermaßen umrissen werden: (Eine tiefergehende Reflexion und
Aufarbeitung der Probleme des Zusammenlebens und ihrer Lösungsversuche
wird derzeit von den Jugendlichen selbst in Angriff
genommen. Diesem Vorhaben kann und darf an dieser Stelle nicht
vorgegriffen werden. Nach zum Teil mehrjähriger
Trebezeit bzw. Heimaufenthalt beginnt
nach Beendigung der unmittelbaren Konfontration die
"Abschlaffzeit".
Die Organisation des Hauses und der Reproduktion wird von Wenigen
geleistet. Teilweise führte dies zum Aufbau von Privilegien und
Hierarchien sowie zur Veruntreuung von Geldern. Kollektive Lebens- und
Kommunikationsformen müssen erst erlernt werden. Die Notwendigkeit zur
Arbeit anstelle der bisher ausgeübten, Reproduktionsformen (Einbruch,
Schnorren etc.) wird von einigen Jugendlichen erst allmählich
eingesehen.
Die
Lösung dieser angedeuteten Probleme muß als langwieriger, kollektiver
Lernprozeß begriffen werden. Allerdings wird der Ablauf dieses
Lernprozesses nicht nur von hausinternen und sozialisationsbedingten
Faktoren bestimmt. Gerade Repressionsversuche des Staatsapparates
(massive Bulleneinsätze, keine ausreichende finanzielle Unterstützung
für Lebensmittel in den ersten Wochen, Versuchs der Kriminalisierung)
trugen wesentlich zur Integration der Jugendlichen in das
Wohnkollektiv bei. Der Gefahr der Isolierung des Hauses von der
Bevölkerung im Stadtteil wurde zunächst durch Zeitungen, Flugblätter
und zwei Kinderfeste entgegengewirkt. Darüber hinaus wurde ein
Schülerrzirkel eingerichtet und mit Eltern aus umliegenden Häusern der
Kampf um einen Abenteuerspielplatz und die Verbesserung der
Lebensverhältnisse im Stadtteil aufgenommen.
Die
Arbeit im Drugstore selbst wurde nach der Besetzung nicht wieder
vollem Umfang aufgenommen. Einmal war anfangs die praktische
Unterstützung des Weissbecker-Hauses dringend erforderlich und zum
anderen erscheint vielen Genossen eine kritische Aufarbeitung der
bisherigen Praxis als unbedingt notwendig.. Parallel dazu arbeiten
einige Gruppen zur Zeit mit Heimjugendlichen zusammen, renovieren die
Räume, betreuen einen Schularbeitszirkel und beteiligen sich an den
Aktivitäten des Weissbecker-Hauses.

Das
erste Wohnkollektiv des Tommy-Weissbecker-Hauses
Das Foto stammt von der
Seite des
Tommy-Hauses.
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Der Text stammt aus:
Autorenkollektiv Jungarbeiter- und Schülerzentren
Proletarische Jugendarbeit in selbstverwalteten Jugendzentren
Reihe Untersuchungen und Materialien, Verlag Roter Stern Ffm 1973,
S.
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