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Archiv Rock und Revolte

Vom Drugstore zum Weissbecker-Haus
 

Gesunde Pleite
Der hand-drugstore, das  1. Drugstore
 in der Motzstraße
Von Erich Richter




Der besetzte hand-drugstore in der Motzstr. am 11.Januar 1972

Für den hand-drugstore — ein seit April 1971 auf Privatinitiative begründetes Kontakt- und Resozialisierungszentrum für gefährdete Randgruppenjugendliche wie entlassene Strafgefangene, Heimzöglinge, Drogenabhängige und Trebegänger — schien die letzte Stunde schon in den frühen Morgenstunden des 10. Januar (1972) geschlagen zu haben. Um 7.30 Uhr sollte der Gerichtsvollzieher die zwangsweise Räumung vollziehen. Grund: Die nicht beglichenen, auf 21 000 DM angewachsenen Mietschulden. Dem Aufgebot irrationaler Besatzer und polizeilicher Räumkommandos blieb die handfeste Konfrontation erspart. Denn Clubanwalt Galinski war in letzter Minute gelungen, worum Clubgeschäftsführer Jennen gerungen hatte: Der einstweilige Räumungsaufschub bis zum 29. Februar, verkündet durch das Amtsgericht Schöneberg mit dem Zusatz: „Sofern der Schuldner bis zum 15. Februar die Mietrückstände und die Nutzungsentschädigung für den laufenden Monat 3700 DM (für Erdgeschoß, 1. Etage und Kellerräume) zahlt."

Die Hausverwaltung Klaus Stutenbecker hatte dem drugstore anfangs Verständnis entgegengebracht, während der Anlaufschwierigkeiten auch befristete Mietstundung gewährt. Dem Vermieter kann also nicht ohne Einschränkung Profitgier oder böser Wille unterstellt werden, wenngleich die Monatsmiete als „um die Hälfte zu hoch" — so Landesjugendpfleger Peter Falk — kalkuliert gewesen sein dürfte. Aber darüber hätte Verwalter Stutenbecker wohl noch mit sich reden lassen, zumal er sich gegenüber den Schwierigkeiten dieser spezifischen Arbeit niemals uneinsichtig gezeigt hatte. Erst ein polemisches Flugblatt kränkte ihn massiv und funktionierte ihn zum Clubgegner um.

Wenn nun die Räumung verfügt wird, daran besteht kaum noch ein Zweifel — ist wiederum ein Stück wichtiger Sozialarbeit mit gefährdeten Jugendlichen in Berlin aufgegeben worden. Erst am 31. Dezember 1971 mußte das Forum Märkisches Viertel auch sein Engagement wegen akuten Geldmangels einstellen.

Kompetente Stellen bestätigten den drugstore-Leuten idealistischen Eifer, lobten ihren progressiven nützlichen Einsatz, würdigten ihre — wenn auch begrenzten — so doch immerhin nachgewiesenen konkreten Erfolge. Im Club trafen sich kontaktscheue Jugendliche mit Sozialarbeitern, die nicht nur ihre Probleme mit ihnen diskutierten, sondern auch bei Arbeitsvermittlung oder Wohnraumbeschaffung helfend bemüht waren und auf diese Weise verhinderten, daß ihre „Klienten" in die Kriminalität absackten.

Bedenken gegen Konsum

Schönebergs Jugendpfleger Heinz Frick nannte den Club ein „Freizeitheim besonderer Prägung", verschwieg aber nicht seine Bedenken gegenüber dem Konsumanreiz, den der Club durch Bierausschank, Cafeteria, Schallplatten-und den Buchverkauf forcierte, um dadurch seine Miet- und Personalkosten decken und aus den Überschüssen erst Sozialarbeit finanzieren zu können. Der ganze Laden war von seiner geschäftlichen Basis abhängig. Das Mitarbeiterteam begnügte sich deshalb aus Idealismus mit Mini-Gehältern. Selbst die aber wären erst gesichert, wenn das Geschäft blühte und volle Kassen machte. Von Anfang an waren deshalb die Beteiligten auf die Erwirtschaftung eines Gewinnes orientiert, kurbelten Besucherwerbung an, baten um Spenden. Subventionierung verschmähten sie aus Prinzip, weil sie fürchteten, dadurch ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Manche warfen ihnen deswegen vor, sie setzten sich zu forsch aufs hohe Roß. Taten sie es aber nicht vielmehr auch der Optik wegen, weil sie durch die Inanspruchnahme behördlicher Finanzhilfe gerade gegenüber den staatsverdrossenen Typen hätten ungläubig erscheinen können? Diese Zielgruppe wäre ihnen möglicherweise entglitten. Auch der „Blickpunkt", der den unkonventionellen Club im Mai 1971 vorstellte, blieb trotz anerkennender Wertung der Initiative skeptisch hinsichtlich der Erfolgsaussichten. „Die Idee ist ohne Beispiel in Berlin und deshalb auf den ersten Blick bestechend", schrieben wir damals. „In der Durststrecke der ersten Jahre wird sich das Projekt unter erschwerten Bedingungen noch bewähren müssen. Danach erst kann ein gültiges Urteil gesprochen werden", fügten wir hinzu.

Schutzgelder an Gangstersyndikat?

Schneller als erwartet geriet der Club in finanzielle Bedrängnis, weil das Leitungsteam zu den notwendigen Investitionen, die aus Eigenmitteln aufgebracht wurden, Mitte 1971 auch noch einen erheblichen materiellen Schaden ersetzen mußte, den ihm Unterweltsbanden zugefügt hatten, als sie die Einrichtung demolierten und sechs Mitarbeiter und die Gäste krankenhausreif geschlagen hatten. Wie Geschäftsführer Andreas Jennen dazu ausführte, habe die abschreckende Nachwirkung auf potentielles Besucherpublikum lange Zeit angehalten, so daß der Club erst ab November 1971 wieder einen Gewinn erwirtschaften, aus diesen Beträgen Resozialisierungsarbeit finanzieren und auch mit der Schuldenregulierung beginnen konnte. Doch hätten diese Überschüsse nicht wesentlich zur Abdeckung aller Verbindlichkeiten (60000 DM, wovon allein 18000 auf angeschaffte Registrierkassen entfallen) ausgereicht. Zumal — so wird behauptet — die Clubleitung weitere Überfälle durch Schlägertrupps zu verhindern suchte, indem sie Schutzgelder an das Schöneberger Gangstersyndikat zahlte. Daß die Zuhälter die Nachtlokale der gesamten Gegend terrorisieren, ist auch der Polizei nicht unbekannt. Der hand-drugstore war ihnen ein besonderer Dorn, weil dessen Sozialarbeiter ihnen die minderjährigen Trebemädchen abspenstig machten und verhinderten, daß sie auf den Strich gingen. Als diesbezüglich Clubvorsitzender Klaus Lemcke die Hilfe der Polizei erbat, wußten die Beamten keinen anderen Rat, als ihm die Schließung des Clubs vorzuschlagen.
Um Hilfe vor der Zwangsräumung ersuchte der Clubvorstand auch die Senatsverwaltung für Familie, Jugend und Sport. Senatorin Ilse Reichel, durchaus bemüht, das Projekt zu retten, warnte jedoch von Anfang an vor übertriebenen Hoffnungen, weil öffentliche Haushalts mittel zur
Abdeckung von Mieten für gewerbliche Betriebe — und ein solcher ist ungeachtet seiner gemeinnützigen Anerkennung auch der hand-drugstore — nicht zur Verfügung gestellt werden können. Kredite dieser Art kollidieren mit den Zuwendungsrichtlinien. Ebenso darf der Senat nicht für private Schulden haften.

Auch Schönebergs Bezirksbürgermeister Alfred Gleitze konnte zwar dem drugstore-Team nach wie vor sein hundertprozentiges Wohlwollen bekunden, ihm finanziell jedoch nicht unter die Arme greifen, weil ihm dafür so kurzfristig keine Mittel zur Verfügung standen. Um die Schließung zu vermeiden, berief die Senatsverwaltung eine Sitzung ein, an der neben ihren Mitarbeitern auch die Vertreter des Berliner Jugendclubs, des Landesjugendringes und Mitarbeiter des „hand-drugstore" teilnahmen.

Dilettantisch

Schon während dieser Besprechung vertiefte sich der allgemeine Eindruck, daß sich die Clubinitiatoren zwar mit ungewöhnlichem persönlichen Elan in ihre Betreuungsarbeit gestürzt, sich aber kaufmännisch übernommen hatten. Der Vorwurf des Dilettantismus konnte ihnen nicht erspart bleiben. Ihre Wirtschaftsführung war nicht nur wenig überzeugend, sie blieb auch absolut undurchsichtig und ungeordnet. Dazu Clubgeschäftsführer Jennen: „Diese Vorwürfe sind berechtigt. Erst in den letzten Wochen haben wir kaufmännisch versierte Kräfte zur Mitarbeit gewinnen können. Seitdem erst kennen wir überhaupt die Höhe unserer Schulden." In Übereinstimmung mit allen Beteiligten wurden zwei Kommissionen eingesetzt. Sie überprüften die Wirtschaftsführung und die pädagogische Arbeit des Clubs. Indessen ließ die Senatsverwaltung den Landesjugendring-Vorsitzenden wissen, daß sein Fonds „Experimentelle Jugendarbeit" so weit aufgefüllt wird, daß der Landesjugendring die Mietbürgschaft für den „hand-drugstore" garantieren kann. Nach einem Dreistundengespräch mit Senatsdirektor Kreft, "hand-drugstore"-Anwalt, LJR-Vorsitzenden erklärte sich der Hausverwalter bereit, eine definitive Antwort nach einer Denkpause zu geben. In einer eiligst einberufenen Pressekonferenz gab der Landesjugendring bekannt, daß er bereit sei, die Bürgschaft zu übernehmen. Jedoch stellte er Bedingungen. Er müsse volle Einsicht in die Bücher nehmen und berechtigt sein, die künftige Wirtschaftsführung und Rechnungslegung zu beeinflussen und zu kontrollieren, damit die Garantie besteht, daß nach einem erstellten Kalkulationsplan und den Auflagen der Wirtschaftskommission auch verfahren wird. Darüber hinaus forderte der Landesjugendring auch seine Beteiligung an den pädagogischen Überlegungen des „hand-drugstore". Hinzugezogen werden sollten hierzu Vertreter der Senatsverwaltung, der Bezirksverwaltung, des Beratungszentrums Kantstraße, dei DRK-Beratungsstelle, des Release-Zentrums.

Geld ja — Einfluß nein

In einer anschließenden internen Gesprächstunde wurden von verschiedenen Seiten erhebliche Bedenken geäußert, ob der drugstore überhaupt in der Lage sei, die angestrebten Forderungen zu erfüllen und die aufgestellte Kalkulation zu realisieren. Bestärkt wurden diese Zweifel noch, als ein Verbandsvertreter mitteilte, nach seiner Einschätzung würden verschiedene Gruppen des drugstore zwar vom „Buh-Mann" Senat Geld annehmen, aber weder die Kooperation mit dem Landesjugendring und Jugendamt realisieren, noch sich in irgendeiner Weise in ihre Arbeit reinreden lassen. Darauf präzisierte der Landesjugendring, daß er die Mietbürgschaft nur übernehmen kann, wenn ihm Einfluß auf die Wirtschaftsführung und die pädagogische Konzeption des Clubs eingeräumt wird. Diese Bedingungen lehnte Club-Geschäftsführer Andreas Jennen kategorisch ab. Seine stärksten Einwände machte er gegen fünf Paragraphen geltend. In ihnen wird gefordert, daß der „hand-drug-store" sich verpflichten solle, aus den laufenden Einnahmen als erstes die Miete für die Monate Januar bis März 1972 zu zahlen, das Prinzip der ehrenamtlichen Tätigkeit seiner Mitarbeiter zunächst zu akzeptieren, wodurch die personellen Kosten und Aufwandsentschädigungen auf 3000 DM monatlich begrenzt werden können. Ferner soll die unentgeltliche Abgabe von Waren auf einen Gegenkaufwert von monatlich 1200 DM monatlich maximal beschränkt werden. Schließlich wird im § 14 dieser Vereinbarung noch fixiert, daß das bestehende Kollektiv des „hand-drugstore" zwar für die inhaltliche Arbeit auch künftig zuständig bleiben, jedoch in wirtschaftlichen Fragen keine Entscheidungsbefugnis haben soll. Hierzu Andreas Jennen: „Wenn ihr wollt unterschreibe ich, aber die Zusicherung, daß wir so verfahren, kann ich nicht geben." Der Landesjugendring fühlt sich an seine Bürgschaftserklärung, die die Grundlage für den Räumungsaufschub gewesen ist, nun nicht mehr gebunden. Andreas Jennen erklärte zur allgemeinen Verblüffung, an dem drugstore ohnehin kaum noch interessiert zu sein. Er werde sich zurückziehen, da er bereits eine neue pädagogische Einrichtung plane. Inzwischen hat sich auch Hausverwalter Stutenbecker entschieden, keinen weiteren Räumungsaufschub zu gewähren — auch nicht, wenn am 15. Februar die rückständige Miete in Höhe von 21 000 DM und die laufenden Mietkosten garantiert würden. Dies hatte Andreas Jennen ohnehin nicht im Sinn. Er wollte am 14. Februar mit dem Geld in der Tasche — falls er es bekomme — mit dem Hausverwalter über den Fortbestand des „handdrugstore nach dem 29. Februar verhandeln und einen Mietvertrag abschließen. Ginge der Vermieter auf seine Forderungen nicht ein, wollte er seine Mietschuld wieder mit nach Hause nehmen. Damit dürften die Würfel endgültig gefallen sein, denn der Gerichtsbeschluß sieht ausdrücklich vor, daß — wenn nicht pünktlich gezahlt wird — „die einstweilige Einstellung außer Kraft tritt und die Zwangsvollstreckung ohne besondere Anordnungen fortgesetzt werden kann." Die Schankkonzession wurde bereits entzogen.

Idealismus reicht nicht

Es wäre nun polemisch, aus dieser mißlichen Entwicklung zu folgern, daß staatliche Subventionen für alle möglichen Bauvorhaben in Millionenhöhe verfügbar seien, aber eine anerkannt gute Sozialarbeit zur Abwendung des Elends ratloser umherirrender Wohnungssuchender Jugendlicher an der lächerlichen Summe von alles in allem etwa 80000 DM scheitert. Und daß ein System, das dieses zulasse, aus sich selbst heraus Revolutionäre gebäre. Mag eine solche Schlußfolgerung auch Musik für manche Ohren sein. Für den Fall des „hand-drug-store" ist sie logisch nicht begründet und deshalb unhaltbar und auch unfair. Denn der „hand-drugstore" ist nicht nur durch seine Milchmädchenrechung in den Konkurs geraten. Er ist vor allem gescheitert an jenen Gruppierungen, die nicht einsehen wollten, daß gutgemeinte finanzielle Hilfe nicht in ein Faß ohne Boden geworfen werden kann, sondern nur unter der Voraussetzung einer realistischen, kaufmännisch korrekten Wirtschaftsführung gewährt werden darf. Wer sich auf diese Weise nicht helfen lassen will, entlarvt sich in seinen politischen Absichten vollends, wenn er der Wahrheit zuwider in einem ominösen Pamphlet die unhaltbare Behauptung aufstellt, an diesem Exempel erweise sich „einmal neu die Macht des Privateigentums im bürgerlichen Staat und die Hilflosigkeit und das Elend staatlicher Jugendarbeit".

Der „hand-drugstore" hätte durch eine Stützungsaktion saniert werden können, wenn diejenigen, die so gern und oft von der Transparenz reden, sie auch für den eigenen Laden zugelassen hätten. Super-Idealismus allein trägt ein — nach wie vor praktikables — Sozialmodell nicht. Ein Quantum praktikablen Verstandes gehört nun mal auch dazu. Um zu verhindern, daß letztendlich die gefährdeten Jugendlichen als die am meisten geschädigten Opfer dieses Lernprozesses aus ihrem Domizil der Geborgenheit auf die Straße der Ausweglosigkeit geworfen werden, hat sich jetzt die Sozialistische Jugend „Die Falken" eingeschaltet. Sie will an einer anderen Stelle in Berlin in mietpreisgünstigeren Räumen den guten Gedanken mit einer neuen pädagogischen Konzeption praktizieren. Unter dieser Perspektive könnte man das Scheitern des „hand-drugstore" sogar noch ein gesunde Pleite nennen.

  • Der Blickpunkt Nr. 211 vom April 1972, S. 31ff

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