Die Westberliner Gruppe
Sexpol-Nord entstand im Herbst 1968 aus einem von Hubert Bacia und Jürgen
Werth angeleiteten politischen Arbeitskreis im Jugendclub Prisma. Der
Arbeitskreis, an dem sich hauptsächlich Lehrlinge und Schüler beteiligten,
beschäftigte sich mit Fragen zur Geschichte der sozialistischen
Jugendbewegung, der Entwicklung der Lehrlings- und Schüler-Revolte in
Westdeutschland und Westberlin sowie allgemeinen Fragen des Zusammenhangs
von Sexualität und Klassenkampf. Solange die Teilnehmer sich auf
Diskussionen beschränkten, duldete die Senatsbürokratie den Zirkel. Als
jedoch getrennte Gruppen von Lehrlingen und von Schülern agitatorische und
propagandistische Vorbereitungen von Aktionen in Betrieben,
Lehrwerkstätten und Schulen diskutierten, beobachtete sie die Arbeit von
Sexpol-Nord genauer. Das Bezirksamt drohte mit dem Rausschmiß der Gruppe,
wenn nicht sofort die Verteilung von Anti-Baby-Pillen eingestellt würde.
Daraufhin plante Sexpol-Nord zusammen mit der trotzkistischen
Jugendorganisation Spartacus, der Roten Garde Berlin sowie einer Gruppe
der Westberliner Freien Deutschen Jugend (FDJ) eine öffentliche
Versteigerung solcher Pillen. Der Jugendclub wurde vom Bezirksamt
geschlossen. Die Versteigerung fand am 22. Januar 1969 vor der
verschlossenen Tür des Jugendheims statt. Die Polizei trieb die Lehrlinge
und Schüler auseinander und nahm einige Jugendliche fest, die das nahe
gelegene Polizeirevier stürmen wollten.
Die bürgerliche Presse
schrieb am nächsten Tag:
"Diesmal kamen sie
nicht mit Steinen, sondern mit Anti-Baby-Pillen in der Tasche: Trotz des
Verbots des Reinickendorfer Jugendamtes, das das Jugendheim Prisma . . .
vorsorglich geschlossen hatte, versuchte die APO gestern, die
angekündigte Pillen-Auktion durchzusetzen. Technisch aufs beste
gerüstet, begannen ihre Vertreter, das für Jugendliche so gefährliche
Medikament an etwa 100 fast ausnahmslos minderjährige Jungen und Mädchen
abzusetzen. Der Erlös fließt, wie ausdrücklich betont wurde, in den
APO-Rechtshilfefonds: Wahrscheinlich also für die Finanzierung neuer
Terroraktionen."
Eine Woche später fand
eine Demonstration zum Reinickendorfer Bezirksamt statt, das von einem
riesigen Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern, Reiter- und Hundestaffeln
geschützt wurde.
Die Sexpol-Protokolle
sind klassenanalytische Voruntersuchungen zum allgemeinen politischen und
Klassenbewußtsein von Arbeitern, Lehrlingen, Angestellten und Schülern.
Sie wurden aufgezeichnet von den Mitgliedern der Gruppe >>Sexpol-Nord<<
und von Hubert Bacia und Jürgen Werth in konkret(*) veröffentlicht.
Ihre Konzeption wurde mitdiskutiert von Ulrike Meinhof, Peter Homann und
anderen Mitgliedern der damals geplanten konkret-Gegen-Redaktion.
Im Verlauf der Vorbereitung des >>Roten 1. Mai 1969<< gab die Gruppe ihre
Eigenständigkeit auf und arbeitete in Westberliner Basis- und
Stadtteilgruppen weiter.
*) Bei diesem Text
handelt es sich um die "Vorbemerkung" zu den Sexpol-Protokollen, die
nochmals in der Reihe "Bücher der Wissens", Marxismus-Psychoanalyse -
Sexpol, Hrg. von Hans-Peter Gente, Fischertaschenbuch 6072, 1972, Ffm
veröffentlicht wurden.
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